Welt des Kindes 06/2016

 

Leiten - führen - steuern

 

Achtsam dem Stress begegnen

 

Die Berlinerin Heike Schaumburg bietet unter anderem Seminare und Kurse

zur Burn-out-Prophylaxe für Leitungen und Mitarbeitende von Kindertages-

einrichtungen an. Mit ihr sprach Adelheid Müller-Lissner über Symptome und

Strategien zur Vorbeugung.

 

 

 

 

 

Frau Schaumburg, werden Kita-Fachkräfte eigentlich besonders leicht Opfer eines Burn-outs?

 

Nein, das kann man so nicht sagen: Erzieherinnen und Erzieher sind nicht gefährdeter als Angehörige anderer sozialer Berufe. Überall in diesem Bereich gibt es das Problem fehlender Abgrenzungsfähigkeit, vor allem bei »Helferpersönlichkeiten«, die Probleme zu nah an sich heran lassen und sie schließlich auch mit nach Hause in ihre Freizeit nehmen. Das ist eine Frage der Persönlichkeit, aber man kann durchaus daran arbeiten.

 

Dazu kommen aber doch auch die besonderen Bedingungen in den Kitas, oder?

 

Das stimmt. Man kann ja schon den Geräuschpegel als Belastung empfinden. Vor allem aber fühlen sich Kita-Leitungen und Fachkräfte oft durch die unterschiedlichen Ansprüche von Eltern und Trägern überfordert, von den vielen Dokumentationsaufgaben einmal ganz abgesehen. Die Ausbildung ist meiner Ansicht nach zudem oft zu theorielastig, Praktika und die Möglichkeit zur Reflexion der Arbeit kommen zu kurz. Schließlich ist nicht zu leugnen, dass die Kinder selbst anspruchsvollerwerden, mehr Verhaltensauffälligkelten

und Unruhe zeigen.

 

Dass dadurch im Alltag viele stressige Situationen entstehen, leuchtet unmittelbar ein. Doch führt das schnurstracks in Krankheit und Arbeitsunfähigkeit?

 

Es liegt mir völlig fern, den Stress zu verteufeln! Er ist ein uraltes, biologisch sinnvolles Überlebensprogramm, das uns ermöglicht, bei Gefahr zu kämpfen oder zu fliehen. Dafür ist etwa die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin oder Cortisol wichtig. Ebenso

wenig würde ich negative Gefühle aus dem Arbeitsalltag verbannen: Alle Gefühle darf es geben. Untersuchungen haben die Meinung widerlegt, dass es gut sei, negative Emotionen zu unterdrücken. Sie dürfen nur nicht überhandnehmen. Ebenso wenig darf Stress

zum Dauerzustand werden. Dann steigt wirklich die Gefahr für einen Burn-out.

 

Ein Begriff, der in den letzten Jahren sehr in Mode gekommen ist! Wie würden Sie ihn definieren?

 

In der Fachliteratur wird Burn-out als Folgezustand fortschreitender Erschöpfung im Zusammenhang mit Arbeit definiert, der sich auf die Psyche und den Körper des Menschen auswirkt, also auf das gesamte System.

Man geht auch davon aus, dass eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur besonders anfällig dafür ist: Menschen, die bereit sind, sehr viel zu leisten, die hohe Ansprüche an sich selbst stellen, aber auch besonders abhängig sind von der Anerkennung und Liebe anderer, sind gefährdet, Ihnen kann es leicht passieren, dass aus Enthusiasmus Apathie und schließlich Hoffnungslosigkeit wird. Manche brauchen nur den Namen ihres Arbeitgebers zu nennen, da brechen sie schon in Tränen aus. Man muss allerdings immer dazu sagen: Burn-out ist keine anerkannte medizinische Diagnose, und oft verbirgt sich eine behandlungsbedürftige Depression dahinter. Teilnehmern meiner Seminare und Kurse, bei denen ich diesen Eindruck habe, lege ich immer nahe, mit ihrem Hausarzt darüber zu sprechen. Es muss klare Grenzen geben: Ich bin keine Therapeutin, sondern Coach.

 

Was erwartet die Teilnehmer denn in Ihren Veranstaltungen?

 

Einerseits biete ich sogenannte Inhouse-Seminare an, deren Dauer je nach den Bedürfnissen der Einrichtungen unterschiedlich sein kann.

 

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Meist bin ich für zwei Tage vor Ort. In solchen Inhouse-Seminaren kann manbesonders gut· darüber sprechen, wiedie Arbeit im Team entlastender gestaltet werden kann. In Seminaren dagegen, die Mitarbeitende verschiedener Einrichtungen zusammenführen, kannder Austausch fruchtbar sein: Man  sieht, dass die anderen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Der Kern der Seminare besteht allerdings darin, dass hier alltagstaugliche Ent-

spannungsverfahren gelernt werden.

Sie kommen aus der Tradition des Yoga und der Meditation und sind inzwischen wissenschaftlich erprobt. Ich bin auch Sportmentaltrainerin: Bewegung spielt in meinen Seminaren eine wichtige Rolle, aber wir arbeiten auch daran, uns innerlich andere Bilder vorzu-

stellen.

 

Also doch: Möglichst keine negativen Gefühle, möglichst alles rosarot sehen?

Ich möchte keinesfalls einen Druck zum positiven Denken aufbauen! Weiteren Druck braucht in einer solchen Situation wirklich niemand. Allerdings wird immer klarer, dass es sich auf die

Ebene der Stresshormone auswirkt, wie Menschen Situationen bewerten. Deshalb ist »Reframing- wichtig, die Fähigkeit, den Dingen einen anderen Wahrnehmungsrahmen zu geben, sie in einem anderen Kontext oder aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

 

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Heike Schaumburg

 

ist Diplom-Pädagogln, Coach und Mentaltrainerin. Sie bietet unter anderem Seminare zum Thema Stressbewältigung und Burn-out- Prophylaxe für Kita-Fachkräfte an.

 

 

 

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Nehmen wir an, ein Kind ist unruhig, laut und aggressiv. Dann kann ich mir als Erzieherin sagen: »Das macht es alles nur, um mich zu ärgern!« Oder ich mache mir klar, dass dieses Kind gerade keine andere Handlungsmöglichkeit hat. Ich richte vielleicht sogar den Blick

auf die Stärken, etwa dass das Kind sich für andere einsetzt. Wenn ich die Qualität sehe, kann ich mit ihr arbeiten.

Das ist sicher eines der Geheimnisse von Menschen, die ihren Beruf gern mögen.

Techniken wie Entspannungsverfahren und Reframing sind sicher für alle nützlich. Doch in Kitas arbeiten recht unterschiedliche Persönlichkeiten. Tut allen dasselbe gut, wenn es um den Abbau von Stress geht?

 

Keineswegs, deshalb gibt es in meinen Seminaren auch Raum für persönliche Beratung. Ich setze auch Testverfahren ein, um zu  ermitteln, wo am ehesten der individuelle Bedarf liegt. Ist die Person besonders perfektionistisch und strukturiert, oder neigt sie eher zum Chaos? Außerdem formulieren wir gemeinsam persönliche Ziele: Ganz ohne eigene Anstrengung geht es nicht!

Am Ende des Seminars schreibt jeder Teilnehmende üblicherweise einen Brief an sich selbst. Den bekommen dieTeilnehmer nach einigen Wochen von mir zugeschickt mit der Frage: Was

ist aus Ihren Zielen geworden? Sehr bewährt hat es sich auch, wenn die Gruppe sich nach einem halben Jahr noch einmal zu einem Reflexionstag trifft.

 

Neben den Seminaren bieten Sie auch mehrwöchige Kurse an. Was läuft dort anders?

 

Diese Kurse finden meist einmal in der Woche abends in der Einrichtung statt,

das Ganze läuft über acht Wochen und wird häufig im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements von den Krankenkassen bezuschusst. Die Teilnehmer bekommen CDs mit nach Hause und können das Gelernte von Woche zu Woche daheim üben. Viele,

die an diesen Kursen teilnehmen, hatten schon einen Burn-out, waren auch schon in einer Kur, haben aber Schwierigkeiten, neue Verhaltensweisen in den Alltag zu integrieren. Auch diese

Schwierigkeiten besprechen wir anhand konkreter Situationen.

 

Haben Sie ein paar einfache »Erste-Hilfe«- Tipps für solche stressigen Alltagssituationen?

 

Ganz wichtig ist es, sie zu unterbrechen! Holen Sie sich vielleicht einen Tee, gehen Sie kurz in ein anderes Zimmer oder an die frische Luft. Atmen Sie tief durch, konzentrieren Sie sich ganz

auf Ihren Atem. Ich rate aus praktischen Gründen auch zu etwas, das vielleicht auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen mag: zur sogenannten »Klo-Meditation«. Gehen Sie auf die Toilette, um einen Moment allein zu sein. Wenn in Gesprächen der Stress- Pegel steigt,

ist das eine sehr sozialverträgliche Form der Unterbrechung. Das darf man immer!

 

 Was können Kita-Leitungen beitragen, um einen Burn-out ihrer Mitarbeitenden zu verhindern?

 

Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig ein gutes Arbeitsklima ist. Zu einer solchen Atmosphäre trägt sicher bei, dass persönliche Wünsche bei der Gestaltung der Arbeitspläne berücksichtigt werden. Und dass es für jedes Teammitglied eine gewisse Form der

Selbstbestimmung bei der Arbeit gibt. Ganz entscheidend ist aber auch, dass

die Kita-Leitung den Mitarbeitenden bei Konflikten und Auseinandersetzungen mit der »Außenwelt« den Rücken stärkt.

 

Wo liegt denn nach Ihrer Erfahrung hauptsächlich das Konjliktpotenzial?

Eines der Hauptprobleme stellen heute sicher zwei extrem unterschiedliche Gruppen von Eltern dar: die besonders Ehrgeizigen, die von der Kita zu viel »Förderung« und Programm erwarten und nicht wollen, dass ihre Kinder auch einfach mal »nur spielen«, und auf der

anderen Seite die Eltern, die sich zu wenig um ihre Kinder kümmern.

 

Und die Kinder?

 

Wenn pädagogische Fachkräfte besonders viele unkonzentrierte, hyperaktive  Kinder in ihrer Gruppe haben, kann das sicher sehr anstrengend werden. Das Schöne ist: Einige der Übungen aus meinen Seminaren und Kursen können Kita-Fachkräfte auch mit den Kindern machen, zum Beispiel die Fantasiereisen. Stressverhalten ist ja erlernt, und auch Entspannung kann man lernen.

Es ist für Kinder wie für Erwachsene wichtig, einen Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung zu finden. Alle brauchen Ruhephasen. Ich bin deshalb eine große Anhängerin der Mittagsruhe in der Kita. Und noch etwas: Für Kinder wie Erwachsene sind auch Phasen wichtig, in denen man sich langweilt. Erst das sorgt für Kreativität. 

 

Was können pädagogische Fachkräfte tun, um sich in ihrer Freizeit gut zu erholen, den Stress, den der Beruf nun einmal mit sich bringt, gesund zu überstehen und sich am nächsten Tag wieder auf die Arbeit zu freuen?

 

Natürlich ist ein gesunder Lebensstil wichtig - den wir ja auch den Kindern nahebringen wollen: sich gut ernähren, genug schlafen, Sport treiben oder jedenfalls genug Bewegung in den Alltag einbauen. Dafür bringt es schon etwas, früher aus der U-Bahn auszusteigen  und die letzte Strecke zu Fuß zurückzulegen. Erwiesenermaßen hilft zudem ein gut funktionierendes soziales Umfeld dabei, ein »Ausbrennen« im Beruf zu vermeiden. Generell kann man sagen: Es ist ganz wichtig, auf die Signale des eigenen Körpers zu achten.

 

Und wenn der sagt: »Mach dir einen gemütlichen Abend mit Chips und der

Lieblingsserie auf dem Sofa«?

 

Dann soll man das tun - aber ohne schlechtes Gewissen! Jede Art von Entspannung kann segensreich sein. Ich muss sie aber bewusst genießen. Dann kann auch einen Sofa-Schlafanzug-Tag guttun.

 

Welche Kraftquellen liegen im Beruf der Kita-Fachkräfte selbst?

 

Ganz eindeutig: Die Kinder! Der Spaß, den man mit ihnen hat. Ihr Lachen und ihre Energie stecken an. Außerdem handelt es sich um eine Tätigkeit, in der man sich körperlich viel bewegen kann.

Darüber hinaus haben viele Menschen, die im Bereich der frühkindlichen Bildung arbeiten, ein hohes kreatives Potenzial. Es ist doch toll, wenn man das im Beruf ausleben kann! •